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»Ich hatte genug von Moskau« ELENA KLYUCHAREVA war früher Ballerina. Heute führt sie in Dresden Theaterregie.
»Da ein Theater fehlte, habe ich mir eben eins organisiert«: Elena Klyuchareva weiß, dass man das Schicksal manchmal selbst in die Hand nehmen muss.

PORTRÄT DER WOCHE
An dieser Stelle erzählen Gemeindemitglieder aus ihrem Alltag.

Als ich vor sieben Jahren nach Deutschland auswanderte, habe ich mit mir selbst gewettet und meine Tochter als Zeugin berufen: Schaffe ich es, mein Leben von Null an wieder interessant und farbenfroh zu gestalten oder nicht ? Ich gab mir damals zehn Jahre Zeit dafür, aber schon jetzt kann ich vermelden: Mein Leben ist superinteres sant und vor allem absolut ausgefüllt.
Zwei Tage verbringe ich jede Woche am Computer. Da schreibe ich an einem Schauspiel oder erarbeite eine Choreografie. Während der restlichen Woche- auch sonntags - renne ich regelrecht von einer Besprechung im Amt zur Probe ins Theater, dann zum Unterricht und so weiter. Samstags arbeite ich nicht.

In Dresden habe ich mein persönliches Glück gefunden: Jürgen.

LIEBE Bei mir beginnt jeder Tag neuerdings mit einem richtigen Frühstück. Darauf besteht mein Lebenspartner Jurochka, Jürgen. Früher habe ich nur schnell einen Kaffee getrunken und bin losgegangen, nun muss ich mir eine halbe Stunde Zeit nehmen und hübsch frühstücken. Aber ich tue es sehr gern. Dass ich mein persönliches Glück gefunden habe, ist wahrscheinlich ein Grund, warum ich mich in Dresden wirklich zu Hause fühle. Hier ist es schön und angenehm. Ich liebe die Parks, und ein Spaziergang an der Elbe gibt so viel Raum für gute Gedanken und Ideen.
Dresden unterscheidet sich sehr von meiner Heimatstadt. Aber ich habe, als ich Moskau verließ, auch nach etwas Neuem für mich gesucht. Berlin zum Beispiel hätte mich zu sehr an Moskau erinnert. Und davon hatte ich wirklich genug! Irgendwie war mein Leben in Moskau ausgeschöpft: Ich hatte viel erreicht als Balletttänzerin und später als Ballettpädagogin. Etwas ganz Neues sollte für mich beginnen. Reisen? Irgendwie langweilig. Ein Buch schreiben? Noch zu früh. Also entschied ich mich, das zu machen, was schon lange in mir reifte und wozu ich eigentlich ausgebildet war: Regie fürs Theater. Und da ein Theater fehlte, habe ich mir eben selbst eins organisiert.

BÜHNE Unser Zuhause ist zweifelsohne die Jüdische Gemeinde Dresden. Sie hat mir und meinen Bühnenkollegen von Anfang an den Rahmen gegeben, wo wir erste Schritte tun konnten. Unsere Bühne heißt »Theater von Salomon Pljar«. Es kann sich durchaus sehen lassen! Auch wenn wir mit Leuten angefangen haben, die Schauspiel als Hobby betrieben, kommen immer mehr dazu, die Theaterberufe gelernt haben. Und zwar sowohl russisch-, als auch deutschsprachige. Mein Jürgen ist nur ein Beispiel dafür.
Insgesamt sind wir 25 Personen, allesamt kreative Menschen - prominente und noch nicht entdeckte Künstler. Es ist ein Musiktheater. Für mich - und ich denke, für viele Menschen - ist der Zugang zu einem Thema mithilfe von Musik viel einfacher. Und dann unser Kindermusiktheater. Es ist so wunderbar! Ich frage mich, warum die Kinder so glückliche Gesichter haben? Weil sie sich noch wundern können. Wir Erwachsene sollten es von ihnen lernen und uns dabei selbst verjüngen. Die Arbeit mit Kindern ist mein persönliches Antiaging- und Fitnessprogramm. Wozu ins Sportstudio gehen, wenn ich regelmäßig ein Balletttraining leite und selbst mitmache? Und überhaupt will ich immer dazu bereit sein, meinen Schauspielern einen Sprung, eine Figur vorzuführen oder auch für mich selbst einfach auszuprobieren. Das ist auch der Grund dafür, dass sich in meiner Garderobe nicht ein einziger Rock befindet. In Hosen fühle ich mich einfach flexibler und freier.

Den Durchbruch mit unserem Kindertheater hatten wir mit dem Stück Tierhäuschen. Ich musste das russische Märchen Teremok umschreiben und szenisch bearbeiten, aber jetzt ist es unser Bestseller. Es wird Deutsch gesungen und gesprochen. Übrigens wurde dieses Stück auch ins Programm der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland aufgenommen. Zehn Mal werden wir es bundesweit aufführen, und manche Vorstellungen sind bereits ausverkauft! Wir sind als jüdisches Theater entstanden, und so haben wir auch Stücke zu Chanukka und Purim im Programm. Soviel ich weiß, sind wir noch immer das einzige jüdische Theater in Sachsen!

NACHWUCHS Das Theater läuft gut, aber mich treibt es stets weiter. Wir müssen für Nachwuchs sorgen und auf einem hohen Niveau kreative Bildung anbieten. Vor einigen Wochen haben wir mit unserer Theaterschule begonnen, die ich ebenfalls organisiere. Wir unterrichten in drei Altersgruppen Gesang, Tanz, Musik und Bühnensprache. Letztere finde ich besonders für unsere Zuwanderer sehr wichtig: Das hilft ihnen, sich klar auszudrücken und sich selbstbewusst zu artikulieren.
Kaum habe ich diese Arbeit als »Hebamme« der Theaterschule im Großen und Ganzen abgeschlossen, werde ich gefragt, ob ich ein internationales Theaterseminar organisiere. Es geht um die Verbreitung der Tradition des klassischen russischen Theaters im modernen europäischen Theater, und zwar sowohl in Ost- als auch in Westeuropa. Das Interesse an dem berühmten Moskauer Theaterreformer Konstantin Sergejewitsch Stanislawski (1863-1938) ist derzeit in Russland und europaweit sehr groß. Für zwei Wochen werden Teilnehmer aus ganz Europa zusammenkommen und in vier Sprachen das Theatermachen nach Stanislawskis System üben. Und wo? In der Nähe von Dresden natürlich! Ich durfte ja als Organisatorin den Ort bestimmen.

Übrigens arbeitete für Stanislawkis Theater MChAT auch der junge Tschechow. Zu seinem 150. Geburtstag im Sommer bereiten wir ein neues Musiktheaterstück vor. Ein Opernstück, das auf Tschechows Erzählung Heiratsantrag basiert. Ich freue mich so sehr darauf! Dieses heitere Schau¬spiel von dem berühmten Liedermacher Sergej Nikitin ist ein großer Erfolg in Moskau. Wir wollen es auf Russisch und Deutsch auf die Bühne bringen. Also wird es zwei Vorstellungen geben - um Himmels willen kein Mischmasch aus zwei Sprachen!
Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich die deutsche Sprache beherrsche. Besonders leide ich, wenn ich bei Behörden oder Institutionen etwas erreichen will und auf eine unsichtbare Barriere stoße. Aber da hilft mir wieder das Theater, denn spätestens, wenn ich einen deutschen Text für die Bühne übersetzen muss, gehe ich sprachlich in die Tiefe. Und behalte dann auch ganze Phrasen im Kopf, nicht nur einzelne Wörter. Außerdem habe ich einen wunderbaren Deutschlehrer - meinen Partner Jürgen. Als wir uns das erste Mal begegnet sind, brachte er mir bei, richtig Spaghetti zu essen. Seitdem feiern wir jedes Jahr den Beginn unserer Beziehung mit einem Spaghetti-Mahl.

Mein Leben hier und jetzt ist ganz wunderbar. Ich habe allerdings noch einen Wunsch, und den will ich mir zum zehnten Jubiläum meiner Auswanderung, also in gut zwei Jahren, erfüllen: ein Zuhause für unser Theater. Denn inzwischen haben wir ein Stadium erreicht, wo wir eigene Räumlichkeiten brauchen, ein Zuhause eben, mit Adresse und Namensschild an der Tür.

Aufgezeichnet von Irina Leytus
Foto: Steffen Giersch
"Jüdische Allgemeine" Nr. 6/107, 11.Februar 2010

Die originelle Zeitungsseite mit diesem Beitrag kann man sich außerdem auch als pdf-Datei downloaden.
Kategorie: Presse deutsch | Hinzugefügt von: theater (14.02.2010)
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